Dienstag, 12. Mai 2009 | |

Die Sucht (Mario J. Serrano)


Alkohol, Speed, Gras, Sex, Hausarbeit … sind alles Genussmittel, nach denen man süchtig werden kann. Aber nur der besonders eingefleischte Genusssüchtige kennt das echte Genussmittel, das Genuss zur Obsession macht: die deutsche Sprache.
Wer kann vermeiden, sich in Gesellschaft wohler zu fühlen, wenn man die weiche, sanfte, melodische und angenehme Phonetik dieser Sprache hört? Sogar die heimatverbundenen Franzosen mit ihrer affektierten Sprache werden emotional berührt, wenn sie Deutsch hören.
Mann kann sehr schnell abhängig von den Effekten dieses Genussmittels werden. Tatsächlich, einfache Wörter wie „Städtebauförderungsmaßnahmen“, Überprüfungsgebührenordnung“ oder „Schuldrechtanpassungsgesetz“ bringen einen Euphoriezustand hervor, dem wenige Genusssüchtige widerstehen können.
Die Abhängigkeit steigt gefährlich, wenn die Syntax der Sprache zum Zuge kommen gelassen wird. Sätze wie „Er hat mich gefragt, ob der Autofahrer die Kinder nicht dort hat spielen sehen können“ setzen in dem Hirn des Benutzers oder Hörers Glückshormone frei, und deshalb fühlen sie sich locker und gelöst.
Unangefochten an der Spitze der Abhängigkeit stehen Präpositionen, trennbare Verben und Funktionsverben. Der Satz „Der Lehrer teilte gestern Abend in der von der Stadt gebauten Schule seinen aus verschiedenen Bundesländern angekommenen Schülern einige wichtige Neuheiten mit“, in dem achtzehn Wörter die zwei Teile des Verbs trennen, löst Explosionen von innerlicher Freude aus. Außerdem, durch wiederholte Funktionsverbenübungen bekommt man ein Wohlbefinden und sogar eine mögliche sexuelle Stimulation.
Wissenschaftler können nicht erklären, welche Gründe es für Deutschkonsum gibt. Trotzdem, sie haben bewiesen, dass man schon von Leidenschaft erfüllt sein kann, wenn man eine Deutschgrammatik nur berührt. Andere Wissenschaftler nehmen an, dass der intensivste Rausch von Herbert Grönemeyers Lieder hervorgebracht wird.